Vier zentrale Emotionen im Fundraising
Sich von seinem Geld zu trennen, ist immer ein emotionaler Vorgang. Deshalb ist Spenden häufig keine rationale Entscheidung, sondern eine emotionale. Daher können auch die meisten Menschen die Frage nicht beantworten, warum sie spenden – oder auch nicht.
Aber wenn wir das Spendenverhalten von außen beobachten, können wir vier Emotionen unterscheiden, die immer wieder auftreten – teils einzeln und teils auch in Kombination.
Mitgefühl
Die vermutlich am häufigsten auftretende Emotion ist Mitgefühl: Wir sehen Menschen oder Tiere in Not und wir fühlen mit ihnen. Uns Menschen ist gegeben, dass wir uns in andere hineinversetzen können. Wir können die Lage anderer Menschen nachempfinden, obwohl wir uns nicht in ihr befinden. Neurophysiologen erklären dies mit Spiegelneuronen, mit denen unser Gehirn ausgestattet ist. Entsprechend erleben wir die Situation der anderen emotional. Wir empfinden das Leid, das ihnen in diesem Moment widerfährt – und reagieren mit Trost, Unterstützung und Spenden.
Sozial korrespondiert dies mit der Norm der Solidarität, nach der Menschen in einer akuten, unverschuldeten Notsituation zu helfen ist. Dies ist eine der stärksten sozialen Normen, die wir haben. Sie ist in allen großen Religionen als Gebot kodiert, und gilt damit universell.
Empörung
Empörung entsteht, wenn Werte, die uns wichtig sind, verletzt werden. Uns empört Kinderarbeit oder der Missbrauch von Kindern, weil wir davon überzeugt sind, dass Kindheit in einem Schutzraum stattfinden soll, der Kindern ein behütetes Aufwachsen ermöglicht. Und empört der Umgang mit Tieren in der industriellen Landwirtschaft, weil wir ihnen emotionales Empfinden und den Status eines Geschöpfes zusprechen. Oder wir empören uns über Diskriminierungen, wenn uns Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit aller Menschen wichtig ist.
Diese Liste ließe sich noch verlängern. Was sich in allen diesen Beispielen zeigt: Es geht um Werte, die in der gesellschaftlichen Praxis strukturell oder durch das Verhalten einzelner Menschen verletzt werden. Empörung allein reicht aber nicht aus, um Handlung entstehen zu lassen: Die Werte müssen für uns individuell wichtig bzw. relevant sein und wir benötigen ein Ziel und einen Plan für unsere Handlung – der zum Beispiel darin bestehen kann zu spenden, damit eine Organisation gegen den Missstand aktiv werden kann.
Dankbarkeit
Dankbarkeit ist eng mit Gaben verbunden: Man hat etwas erhalten, für das man nicht bezahlt hat, was also nicht gekauft ist. Wenn dies für jemanden wichtig ist, stellt sich das Gefühl der Dankbarkeit ein. Dies ist auf der sozialen Ebene eng verknüpft mit der Norm der Reziprozität, der moralischen Verschuldung und der Notwendigkeit, bei passender Gelegenheit etwas zurückzugeben – also die Gabe zu erwidern.
Dankbarkeit als Emotion ist verbunden mit dem Geben und Nehmen als sozialem Prozess. Ein Geben aus Dankbarkeit verweist darauf, dass Menschen zuvor etwas bekommen haben – Chancen, Gaben, Unterstützung –, das ihnen geholfen hat und für das sie sich jetzt revanchieren wollen. Die Motivation für dieses Geben liegt weniger in Werten als in dem Bedürfnis, den Gabe-Prozess abzuschließen.
Betroffenheit
Betroffenheit schließlich speist sich aus der eigenen biografischen Erfahrung. Man weiß, in welcher Situation sich der andere befindet, weil man sich selbst schon einmal in derselben Situation befunden hat. Wer selbst sein Geschwister verloren hat, weiß, wie sich Kinder fühlen, die das gleiche Schicksal teilen und wie sich Trauer im Kinderalter anfühlt. Wer weiß, welche große Rolle Mentoren im Leben von Menschen spielen können, erkennt auch bei anderen, wenn sie Unterstützung oder ein Mentoring benötigen.
Aus diesen Beispielen wird schon deutlich, dass keine Notsituation gegeben sein muss, um eigene biografische Erfahrungen aktivieren zu können. Auch positive Erfahrungen können durchaus die Grundlage für Spendenentscheidungen sein. Dies gilt übrigens auch für die drei anderen Emotionen: Auch wenn sie durch Not oder Missstände aktiviert werden, können sie ins Positive – die Überwindung der Situation – gewendet werden. Und im Einzelfall lassen sich die unterschiedlichen Emotionen nicht so einfach trennen: Durch die eigene biografische Erfahrung weiß man, wie sich eine Notsituation anfühlt, in der man helfen muss. Und wenn hier auch noch Werte verletzt werden, kann dies zusätzlich empören.
Der Fokus der Emotionen
Interessanter ist der Handlungsfokus der Emotionen: „Mitgefühl“ fokussiert auf das Individuum in seiner akuten, unverschuldeten Notsituation. Hier geht es um die Überwindung der Situation und die konkrete Hilfe für Mensch oder Tier. „Empörung“ verweist hingegen auf verletzte Werte und damit auf einen gesellschaftlichen Zustand. Bei Empörung geht es eher um die Veränderung von Strukturen und Prozessen, also stärker um systemische Eingriffe. „Dankbarkeit“ bezieht sich auf den Prozess des Gebens und Nehmens und ist mit dem Erwidern verbunden. „Betroffenheit“ schließlich ist ungerichtet und kann sich sowohl auf Individuen als auch auf Strukturen und Prozesse beziehen.
Fazit
Wer um Spenden bittet, kommt nicht um die Frage herum, welche Emotionen angesprochen werden sollen. Je nach Organisationen, ihrer Ausrichtung und Positionierung können diese unterschiedlich sein. Das macht es möglich, unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen – denn nicht immer sind alle Menschen emotional auf ähnliche Weise zu erreichen. Manche reagieren eher auf Mitgefühl, andere auf Empörung und Dritte benötigen einen eigenen biografischen Bezug mit eigener Betroffenheit.
Eine nachhaltig finanzierte Zivilgesellschaft, die die Welt ein Stück besser macht und ohne Ausbeutung und Selbstausbeutung auskommt, ist die Mission von Dr. Kai Fischer. Deshalb beschäftigt er sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Aufbau langfristiger Beziehungen zu Förder/innen und bietet hierfür Strategie-Beratungen, Inhouse-Workshops und Seminare an.
Dr. Kai Fischer
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